Was bisher geschah
Ein guter Teil der Ausstellungen war daher der Versammlung ehemals herausragender Exponate, wie z.B. "Liquid Views" von Monika Fleischmann, gewidmet. Das "damals" als Gesprächsthema trug zu einer retrospektiven Atmosphäre auf den Fluren bei, wenn sich viele der langjährigen Veteranen in der typischen halb staunenden, halb amüsierten Weise an die Anfänge der Computerrevolution mit Röhren und Lochkarten erinnerten. Wie zum Beweis, dass damals in der Elektronik noch viel Mechanik steckte, verdrahtete Joseph Paradiso täglich seinen für heutige Verhältnisse monströsen "Modular Synthesizer" zu neuen Melodien. Itsuo Sakane konnte sich schon als Historiker mit der Medienkunst beschäftigen und auf Grund seiner persönlichen Kenntnisse aus den Geburtsstunden dieser Disziplin auch intime Details liefern. Besonders für Künstler und Kunststudenten dürften die Ausführungen dieser Persönlichkeit zum Erlebnis geworden sein.
Bei einem Rückblick nicht fehlen durfte natürlich die statistische Analyse, die sich naturgemäß erst mit einer hinreichend langen Vergangenheit anstellen lässt. Auf der Ars Electronica kann man dafür natürlich keine Balkendiagramme verwenden: Zusammen mit dem Futurelab des Ars Electronica Center entwickelte Gerhard Dirmoser ein detailreiches "Gedächtnis Theater", das alle Themen und Objekte aus den 25 Jahren zueinander in Beziehung setzte und aus dem man in verschiendenen Anordnungen zentrale Figuren und verschiedenste Trends herauslesen konnte. Der Komplexität des Ergebnisses versuchte man mit extra-großen Ausdrucken im Poster-Format zu begegnen, angesichts der enormen Vielschichtigkeit und nur mehr zweier Dimensionen war allerdings jedes Informationsdesign zum Scheitern verurteilt.
Eine besonders enge Verbindung besteht den Diagrammen nach zwischen der Ars und Gerfried Stocker. Dass dieser Name auf nicht ganz transparente Weise mit vielen anderen verknüpft ist, dürfte der Anlass für eine kleine dissidente Gruppe außerhalb des Festivals gewesen sein, die Ars Electronica zum Festival für Kunst, Technologie und Seilschaft zu erklären.
Aktuelle Exponate
Deutlich wurde auf jeden Fall, dass man auf einer Ars Electronica in eine weitläufige Welt eintauchen kann, die sich in einer Vielzahl von Projekten verkörpert. Auch wenn die Glanzstücke von einst immer noch faszinieren, das Festival ist vor allem in eine Richtung eingestellt: nach vorne, in die Zukunft.
Einer der Publikumslieblinge dürfte dabei die "Augmented Fish Reality" von Ken Rinaldo geworden sein, in der den Besuchern die eher ungewohnte Rolle der passiven Zuschauer zugewiesen wurde. Hauptakteure waren siamesische Kampffische, die nicht nur die Möglichkeit erhielten sich im Aquarium, sondern damit auch das Aquarium durch den Raum zu bewegen ? gerade für Zierfische wohl eine ungekannte Freiheit.
Ein besonders starker Hinweis auf die Wechselwirkung der Kunstszene mit anderen Bereichen war die interaktive 3D-Welt von Ah_Q, die Feng Mengbo mit Hilfe der in der Spielewelt erprobten Quake-III-Engine erstellte.
Die ausgezeichneten Animationsfilme boten neben einigen sehr interessanten und anschaulichen Teilen auch Auffälliges: Die hochdramatische Geschichte eines Mädchens, dass sich für ein eben gefundenes Findelkind durch eigenes Ungeschick von einer Brücke stürzt, nicht ohne vorher Harmonie und Glückseligkeit vor einem mit deluxe-Airbrush erstellten Sonnenuntergang (an einem recht plötzlich auftauchenden Meer) zu zelebrieren. Genau so war es. Der Sinn verschloss sich allen Zuschauern mit denen ich darüber ins Gespräch kam. Das viel umso mehr auf im Vergleich zum Gewinner der Kategorie, "Ryan", der nicht nur mit einer packenden Geschichte faszinierte, sondern besonders durch eine eigenartige, dekonstruierte Bildsprache.
Neben Animationen zeigte die Schule IAMAS aus Japan ein breites Spektrum ihres Schaffens. Die Arbeiten waren der Auszeichnung einer Einladung entsprechend hervorragend, besonders aber durch viel Witz gekennzeichnet und vermittelten damit richtig Spaß.
Digitale Gemeinschaften
Im Vergleich zum Vorjahr viel auf, dass sich das Festival weniger in einen abgegrenzten Bereich vertiefte, sondern nicht nur Vergangenes sondern auch Kommendes in Breite präsentierte. So entstand mehr ein Album als ein Dossier. Ein bisschen mehr Spitzen oder Tiefe hätte es bei dem verheißngsvollen Motto schon geben dürfen. Besonders futuristisch war die Ars nämlich nicht, man fand sich mit dem Verlassen der Ausstellung in der realen Welt des Heute sofort problemlos wieder zurecht. Und sei es nur um sich seiner sinnlichen Existenz mit Hilfe des gemschmacklichen Erlebnisses eines Marillenknödels zu versichern.
Den einzigen und nicht zentralen Schwerpunkt bildeten die Communities. Die Konferenzen rund um die "Language of Networks" waren bereits am Mittwoch begonnen worden, eine Neuerung im Programmablauf mit dem Vorteil, dass das Wochenende gerade auch von den Berufstätigen für die eigentlichen Ausstellungen genutzt werden konnte. Die Wichtigkeit des Wochenendes zeigte sich auch daran, dass die zuvor überlaufenen Räume sich am Montag schlagartig geleert hatten und die Donau-Ufer nur noch spärlich belagert wurden. Dabei war durchaus noch ein interessantes Programm geboten: Seit 2004 besteht die neue Preis-Kategorie der "Communities", denen noch mehrere Gesprächs- und Diskussionsrunden gewidmet waren. Durchaus interessant schon auch allein deshalb, weil sich in diesen Runden Persönlichkeiten von Joitchi Ito über Jimmy Wales bis Laurence Lessig zu Wort meldeten. Sehr gut passend wurden in der electrolobby die creativecommons Austria stilecht mit OpenSource-Water aus der Taufe gehoben.
War die Ars Electronica in großen Teilen eine Rückschau und Durchsicht der Computerkunst, so lohnte sie sich auf jeden Fall dadurch, dass man miterlebte, wie lebendig und ereignisreich die vernetzte Welt gerade an den Stellen ist, an denen ihre Netze gebaut werden.