Ich meine, keine der postmodernen Inszenierungen verläßt diese Oberfläche. Heute lehren uns die tiefenlosen Oberflächen, wieder den Sinnen zu trauen. Das moderne Erkennen ging ja in die Tiefe, war entlarvend und hat die Schleier des Scheins zerrissen. Heute dagegen sucht man den Sinn der Oberfläche und den Sinn auf der Oberfläche. Wer etwa Shopping als Lebensform praktiziert, verkörpert den Zerfall der Ideologien, der Großen Erzählungen und Weltbilder. Ideologien sind heute nur noch Maskeraden, Requisiten aus der Rumpelkammer der Geschichte. Man könnte sagen: Postmoderne Identitäten schillern in der Oberflächenartistik des Konsums und der Kaleidoskopik der neuen Medien.
Über genau diese Welt will ich im folgenden einige designspezifische Überlegungen anstellen. Und meine Hintergrundthese dazu lautet: Im großen, Multimedia genannten Spektrum von Kommunikationstechnologie bis Unterhaltungselektronik werden Rauschmittel, Fetische und Spiele verkauft, nicht nur und in erster Linie Werkzeuge. Einige haben schon verstanden. So sagt der ehemalige Chef der Computer-Firma Apple, Michael Spindler: Wir brauchen grafische Interfaces, die nicht nur benutzerfreundlich sind, sondern die süchtig machen, wie Drogen eben. Wie bei Nintendo.
Diese Gadgets, diese elektronischen Spielzeuge der Postmoderne sind, mit Hermann Sturms präzisem Wort, Prothesen des nicht mehr Begriffenen; es sind fröhliche Kapitulationserklärungen der Sachlichkeit. Das Gebrauchen ist also längst nicht mehr souverän und selbstverständlich. Wir alle leben in der freiwilligen Knechtschaft der User. Weniger poetisch formuliert: Man unterwirft sich dem, was man nicht versteht, um es zu gebrauchen. Wie in den Welten von Wirtschaft und Politik muß man heute auch in der technischen Gegenständlichkeit Verstehen durch Einverständnis ersetzen. Gnädig verbirgt uns die Benutzeroberfläche die logische Tiefe der Geräte. Design ist heute nicht mehr das Gewissen der Dinge, sondern user friendliness.
Benutzerfreundlichkeit heißt ja im Klartext: funktionelle Einfachheit bei struktureller Komplexität - also leicht zu bedienen, aber schwer zu verstehen. Die Intelligenz der Produkte besteht gerade darin, den Abgrund des Nichtverstehens, die logische Tiefe zu verdecken. So emanzipiert sich das Gebrauchen vom Verstehen. Wer heute von intelligentem Design spricht, meint, daß der Gebrauch eines Geräts selbsterklärend ist. Doch diese Erklärung führt nicht zum Verständnis, sondern zum reibungslosen Funktionieren. Man könnte deshalb formelhaft sagen: Benutzerfreundlichkeit ist die Rhetorik der Technik, die unsere Ignoranz heiligt. Und diese designspezifische Rhetorik verschafft uns heute die user illusion der Welt.
Von Technisierung spricht man immer dann, wenn man reflexionsfreie Vollzüge charakterisieren will. Hier herrscht der Geist der Mathematik, denn Mathematik ist weitgehend prozedural, d.h. sie denkt für sich selbst. Und in eben diesem Geist arbeitet man heute an intelligenten Technologien, die im Jargon amerikanischer High-Tech-Institute things that think heißen. Immer mehr von dem, was gedacht werden muß, wird von Dingen gedacht. Technik funktioniert ohne Konsens, und funktionierende Technik kann man nicht irritieren.
Das klingt zunächst bedrohlich, ist aber im Gegenteil die überlebensbedingung fortgeschrittener Zivilisationen. Moderne Kulturen können nur funktionieren, wenn es die Menschen 'so genau' gar nicht wissen wollen und sich damit begnügen, die Schlußfolgerungen aus schon Gedachtem zu ziehen. Gemeint ist der in Techniken und Institutionen geronnene Geist. Nur er macht uns in einer Welt überlebensfähig, in der nur gewiß ist, daß die Zukunft ungewiß ist. Uncertainty absorption nennen das Soziologen.
Unsere Zivilisation könnte also zur Not auf intelligente Menschen verzichten, aber nicht auf denkende Dinge. Mit anderen Worten: Nicht das, was Menschen denken, sondern das, was man ihnen zu denken erspart, bringt den zivilisatorischen Fortschritt. Der Philosoph A.N.Whitehead hat das schon vor Jahrzehnten klar gesehen: Civilization advances in proportion to the number of operations its people can do without thinking about them. Das Soziale setzt also Technisierung voraus - und zwar übrigens gegen die heute so beliebte 'Natur'. Aber diese Technik verbirgt sich im Vertrauen der User. Man könnte es auch so sagen: Technik ermöglicht unschädliche Ignoranz.
Ich bin nun der Auffassung, daß alle Identitätsprobleme unserer heutigen Kultur aus den Anforderungen einer neuen Mensch-Maschine-Synergie resultieren. Begriffe wie Interface und Benutzeroberfläche zeigen das an. Der Mensch ist nicht mehr Werkzeugbenutzer, sondern Schaltmoment im Medienverbund. Er rastet in Schaltkreise ein.
Und daraus erklärt sich ganz schlüssig das unaufhaltsame Vordringen des Designs in alle Lebensbereiche. Alles Design lautete ein ironisch gemeinter Titel des kritischen Bewußtseinsmagazins Kursbuch. Und das trifft ganz schlicht zu. Denn Design ist die Gestaltung von Benutzeroberflächen, die uns die Angst vor dem Umgang mit Black Boxes nehmen sollen. Je komplexer unsere Welt wird, desto dringlicher wird die Gestaltung der Schnittstelle von Menschen und Systemen. Wir müssen uns ja immer häufiger auf eine Sache verstehen, ohne die Sache zu verstehen. Um so wichtiger wird dann die Gestaltung der Benutzeroberfläche, die allein noch Licht ins Dunkel der Black Box bringen kann. Das nennt man auch Interface-Design.
Rückblickend können wir sagen: Die Welt des Designs war noch in Ordnung, solange sich das Gestalten am selbstverständlichen Gebrauchen und die Form an der erkennbaren Funktion orientieren konnte. Doch im Zeitalter der Mikroelektronik sehen wir uns von Black Boxes umstellt, zu denen es keinen intuitiven Zugang mehr gibt; jeder Haushalt kennt die alltägliche Verzweiflung über die Fremdsprache der Gebrauchsanweisungen. Schon lange haben wir Abschied genommen von dem Objekt-, nein: Weltverhältnis, das Heidegger mit wunderbarer Präzision 'Zuhandenheit' nannte. Zuhanden war das, was in seinem Gebrauch aufging und eben deshalb niemals als Gegenstand auffällig wurde. Man vergleiche dagegen den Videorekorder oder den PC.
Wer sich einen Computer anschafft, kauft damit nicht nur ein Stück Hardware, sondern vor allem auch ein Paket Software - mit dem Versprechen der Benutzerfreundlichkeit. Damit ist ja nicht gemeint, daß der User verstehen soll, was er tut, sondern daß man ihm jede Irritation erspart. Ein benutzerfreundlicher Computer läßt mich vergessen, daß ich es mit einem Rechner zu tun habe; sein Interface-Design schirmt mich ab gegen die posthumane Technologie des Digitalen. Im Klartext heißt das: Man kann sein ganzes Leben autofahren, ohne auch nur ein einziges Mal unter die Motorhaube schauen zu müssen. Und man kann eben auch sein ganzes Leben am Computer arbeiten, ohne auch nur ein einziges Mal unter die Benutzeroberfläche, das User Interface, schauen zu müssen.
Anders gesagt: Das Geheimnis des Erfolgs der Computerindustrie mu ein Geheimnis bleiben. Deshalb verkauft sie das Digitale, als ob es analog wäre. Und auch das meint das Stichwort Benutzerfreundlichkeit. Der Soziologe Schelsky hat in ähnlichem Zusammenhang von 'Vertrautheitsselbsttäuschung' gesprochen - ein hübsch häßliches, aber wunderbar präzises Wort. Vertraut sind uns die analogen Bildchen, fremd bleibt uns die digitale Codierung. Die seit Apples Macintosh so beliebten Icons auf den Benutzeroberflächen sind ja bei Lichte betrachtet nichts anderes als maskierte Digitalität. Auch Virtual Reality ist eine digitale Simulation des Analogen. Benutzerfreundlichkeit heißt also im Klartext: Funktionelle Einfachheit bei struktureller Komplexität - leicht zu bedienen, aber schwer zu verstehen. So bekommen Computer etwas Magisches.